Von Dr. Elsa Maria Cardona Santos, Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Nicht nur der Klimawandel, sondern auch der Verlust von biologischer Vielfalt bedeutet ein sehr hohes Risiko für unser Wirtschaftssystem. Durch die Interaktion mit Unternehmen hat der Finanzsektor indirekte Auswirkungen auf die Natur und somit auf die Bereitstellung ihrer Leistungen wie z.B. sauberes Wasser, die Regulierung des Klimas, die Fruchtbarkeit der Böden oder die Bestäubung durch Insekten. Das bedeutet nicht nur Risiken für die Gesellschaft, sondern auch für den Finanzsektor selbst.
Am 20. Mai 2021 führten das Netzwerk für Biodiversität BioFrankfurt und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) online die Veranstaltung „Die Biodiversität im Finanzsektor“ als Auftakt der Aktionswoche BioFrankfurt durch und im Rahmen des Projektes „Natur ist unser Kapital“. In dieser Veranstaltung wurde mit hochrangigen Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft die Rolle des Finanzsektors und der Politik diskutiert und die Frage wie Unternehmensmodelle finanziert werden können, die das Naturkapital nachhaltig nutzen und langfristig erhalten und somit die Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft reduzieren.
Die Relevanz der Biodiversität für den Finanzsektor und seine diesbezügliche Rolle
Susanne Bergius, Journalistin & Referentin für Nachhaltiges Wirtschaften & Investieren, verdeutlichte die Rolle der Biodiversität für die Wirtschaft und die Mitverantwortung der Finanzakteure in diesem Zusammenhang. Ökosysteme sind die Grundlage alles Lebens und alles Wirtschaftens; es wird geschätzt, dass 55% des BIP von Ökosystemleistungen abhängen. Mit einem Wert zwischen 170 bis 190 Billionen USD ist der Wert der Biodiversität doppelt so hoch wie das globale BIP. Somit bringt ein investierter USD in Renaturierung 30-mal mehr Wert. Der Verlust der Biodiversität impliziert somit eine Bedrohung für die Fundamente unserer Ökonomie und ein unbekanntes Umweltrisiko, das zur Finanzmarktinstabilität führen wird! Um dieses Risiko zu mindern, dürfe Entwaldung nicht mehr finanziert werden. Wir brauchen Kriterien zum Artenschutz für Staatsanleihen und Aktien von Unternehmen. Investor:innen können Einfluss nehmen, indem sie sich für eine Antientwaldungspolitik einsetzen, und die Lieferketten bei der Kreditprüfung beachten! Geldanlagen zugunsten artenreicher Ökosysteme können entwickelt werden, z.B. für naturbasierte Geschäftsmodelle und wirtschaftlich attraktive Renaturierungsmaßnahmen.
Die Relevanz der Biodiversität für den Finanzsektor und seine diesbezügliche Rolle
Dr. Sibyl Anwander, Nachhaltigkeitsberaterin, zeigte die Notwendigkeit in Biodiversität zu investieren. Während es einen großen globalen Finanzierungsbedarf für den Artenschutz von 700-950 Milliarden USD pro Jahr über die nächsten 10 Jahre gibt, fließt weiterhin öffentliches Geld in Form von naturschädlichen Subventionen z.B. ins Agrarland. Landwirtschaftliche Subventionen könnten fast die Hälfte der Finanzierungslücke für den Schutz der Biodiversität decken. Auf privater Seite gibt es eine Preisverzerrung: die Kosten der Degradierung der Ökosysteme werden nicht in die Marktpreise internalisiert, somit decken die Preise beim Weiten nicht die Umweltkosten. Wir brauchen Anreize für nachhaltige Produktionsverfahren, beispielsweise durch die richtige Bepreisung und Internalisierung externer Effekte. Der Staat könne dabei Regeln festlegen, um private Investitionen zu lenken.
Nachfrage und Angebot nach nachhaltigen Geldanlagen und die Rolle der Politik
Prof. Dr. Christian Klein, Professor an der Universität Kassel, argumentierte, dass wir die Politik brauchen, wenn Sustainable Finance erfolgreich sein soll. Er schlug vier Thesen vor: 1. Nachhaltige Geldanlagen werden mainstream dank der Politik: die Politik schlage die Brücke zwischen Kund:innen und nachhaltigen Produkten. 2. Kapitalmärkte seien die Spielcasinos und der Croupier sei die Politik: die Aufgabe der Kapitalmärkte sei es nicht die Welt zu retten, sondern Information über Chancen und Risiken zu sammeln und diese zu einem Preis zusammenzufassen. 3. Banken werden grün dank der Politik: Banken seien keine Weltretter, sondern haben erkannt, dass die Wette in die andere Richtung geht und dass es ein Einfluss auf Kapitalanlagen haben wird. 4. Biodiversitätsschutz könne nur durch Sustainable Finance gelingen mit der Unterstützung der Politik: wir brauchen beim Thema Biodiversität klare messbare Ziele und klare Aussagen der Politik, damit das Ziel erreicht wird. Darauf werden dann automatisch die Kapitalmärkte reagieren.
Handlungsempfehlungen für ein nachhaltiges Finanzsystem in Deutschland
Kristina Jeromin, Geschäftsführerin des Green and Sustainable Finance Cluster Germany, erklärte, dass eine grüne Nische im Finanzmarkt nicht ausreichen würde und wir stattdessen die Verantwortung des Finanzsystems für eine sozialökologische Transformation im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda 2030 brauchen. Sie förderte von der Bundesregierung einen kohärenten Politikrahmen mit Einheitlichkeit und Klarheit im Sinne der Ziele und klare zielerreichungspfade in der Gesetzgebung. Sie präsentierte die Empfehlungen des Sustainable Finance-Beirats, der die Bundesregierung berät. Unter anderem seien signifikante Investitionen nötig, um Produktionsweisen, Lieferketten und Geschäftsmodelle zukunftssicher zu machen; hier komme der Finanzwirtschaft eine Schlüsselrolle zu. Die Bundesregierung sei zentraler Akteur mit Vorbildfunktion und Gestaltungsmacht im Finanzmarkt. Sie solle unter anderem eine zukunftsgerichtete und integrierte Berichterstattung fordern; einen systematischen Wissensaufbau fördern; In Anlehnung an die EU-Offenlegungsverordnung, solle sie ein System zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit aller Finanzmarktprodukte etablieren, um Nachhaltigkeitschancen und -risiken transparent zu machen und Anlageentscheidungen zu erleichtern; und sie solle regulatorische Gestaltungsspielräume nutzen, um wirkungsorientiertes Investieren zu erleichtern.
Das Potential von Deutschland, Sustainable Finance voranzubringen
Anschließend wurde über das Potential von Deutschland diskutiert, Sustainable Finance voranzubringen. Die Strategie sei heimlich und leise verkündet worden und es gebe viel Verbesserungspotential. Nicht alle Empfehlungen des Beirats wurden in der Strategie mitberücksichtigt. Eine höhere Beteiligung des privaten Sektors sei notwendig und eine gezielte Transformationsfinanzierung für Unternehmen sei wichtig, um sie aus dem nicht-nachhaltigen zum nachhaltigen Weg zu unterstützen. Darüber hinaus seien klare Regelwerke der Politik nötig, um Anreize für Investor:innen zu schaffen, in nachhaltige Aktivitäten zu investieren. Die EU-Taxonomie, also die Auflistung nachhaltiger Wirtschafsaktivitäten, sei ein „game changer“ in dieser Hinsicht, um den Klimawandel aufzuhalten. Deren Anwendung dürfe allerdings nicht freiwillig sein. Auch für den Schutz der Biodiversität gibt es bereits Indikatoren, die benutzt werden können, um die Spielregeln im Markt zu verändern beispielsweise die Intensität der Bewirtschaftung von Flächen gemessen an die Tierzahl, der Flächenverbrauch oder die Stickstoffbelastung. Mehr politische Wille sei notwendig, um den Rahmen zu setzen und die Politik müsse auch unterstützt werden durch gesellschaftliche Prozesse. Wir brauchen ein Transformationspfad von nicht-nachhaltig zu zukunftsfähig und das Aufbauen paralleler Welten: Biodiversität, Klima, Sozial. Die Ziele seien klar. Es brauche Kontrolle und Transparenz und auch Kooperation mit anderen Partner:innen, damit die übergreifenden Standards in den Markt kommen; der Markt entwickle eine Dynamik von Angebot und Nachfrage. Auch für die öffentliche Hand und die Fiskalpolitik brauchen wir diese Änderungen. Alles und alle zur gleichen Zeit, das sei die Herausforderung.