Von Ulrich Stöcker, Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Etwas mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Das Umweltbundesamt schätzt für das Jahr 2020, dass die Landwirtschaft für 8,2 % der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich war. Die intensive Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen ist nicht nur für das Klima schädlich, sondern auch für die Bereitstellung wichtiger Ökosystemleistungen. Dennoch werden auf Grund Fachrechts und Förderbedingungen durch Monokulturen Lebensräume minimiert, immissionsintensive Tierhaltungsverfahren praktiziert und der massive Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln belastet vielerorts Böden, Grund- und Oberflächengewässer sowie unsere Luft.
In dieser Veranstaltung vom 29. November 2021 gingen wir folgenden Fragen mit Expert:innen aus Politik, Praxis, Gesellschaft und Wissenschaft auf den Grund:
Wie kann der deutsche Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik fortentwickelt werden, um die Agrarförderung effektiv an der Erhaltung von Ökosystemleistungen und anderen gesellschaftlichen Anforderungen auszurichten?
Welche Optionen bieten sich in absehbarer Zeit für eine einkommenswirksame und gemeinwohlorientierte Honorierung?
Wie können diese Ansätze in der gerade begonnenen Legislaturperiode in Deutschland vorangebracht werden?
Förderung von Klimaschutz und Biodiversität im Rahmen der GAP 2023-2027: Geben wir die richtigen Antworten auf die Krise?
Prof. Dr. Sebastian Lakner, Universität Rostock, sprach über die Förderung von Klima- und Biodiversitätsschutz im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2023. Die Landwirtschaft sei Verursacher und Betroffener zugleich, beispielsweise von Extremwetterereignissen. Dieses Problembewusstsein bezüglich Tierhaltung, Düngung und des Zustands organischer Böden sei gestiegen – nicht zuletzt auch wegen des sog. Klima-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, das für die Landwirtschaft umgerechnet 14 Mio. to. CO2-Äquivalente einzusparen habe., der gesamte LULUCF-Sektor ((Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft) sogar 25 Mio. to. CO2-Äquivalente Die Landwirtschaft habe wichtige Folgekosten zu tragen; eine nachhaltige Wirtschaftsweise in diesem Sektor sei notwendig. Dabei gehe es sowohl um Vermeidungs- wie auch um Anpassungsleistungen. Die GAP nach 2023 sieht in ihrem Art. 28 u. a. Öko-Regelungen sowie Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen vor; Direktzahlungen werden an bestimmte ökologische Bedingungen geknüpft (Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand, GLÖZ). Diese sogenannte „Grüne Architektur“ müsse allerdings weiter gefasst werden, wenn man etwas erreichen wolle; mehr Maßnahmen seien notwendig. Wichtig seien die Nettowirkung und der zusätzliche Nutzen. Dabei sei zu beachten, dass es regional heterogene Wirkungen gebe. Es gebe durchaus relevante Maßnahmen von GLÖZ, die sich auf Klima und Biodiversität auswirken, wie z.B. der Schutz von Feuchtgebieten und nicht-produktive Ackerflächen. Die Erhaltung von Dauergrünland habe zwar positive Wirkungen, diese seien aber nicht zusätzlich. Bei den Ökoregeln gebe es an einigen Stellen Klimawirksamkeit, z.B. bei Agroforst auf Ackerland, was auch eine hohe Zusätzlichkeit verspreche. Dies sei wichtig, da sonst hauptsächlich Mitnahmeeffekte impliziert würden. Insgesamt seien die Öko-Regeln und GLÖZ für den Klimaschutz wenig wirksam. Mehr Fokus solle auf die sog. 2. Säule und die GAK-Rahmen-Richtlinie und dort die Wiedervernässung von Mooren, die Reduktion der Viehbesatzdichte, die Umsetzung von Natura 2000 und auf nicht-produktive Investitionen, Beratung und Planung gelegt werden.
Ein Blick der Zivilgesellschaft auf die Agrarpolitik der neuen Bundesregierung in Brüssel
Reinhild Benning, Deutsche Umwelthilfe, stellte das Potential und die Herausforderungen der Agrarpolitik im Zusammenhang mit dem Wechsel der Bundesregierung vor. Die jüngsten Beschlüsse zur GAP in Brüssel seien aus Umweltsicht leider enttäuschend ausgefallen. Politisches Potential stecke hingegen in der Absicht der EU-Kommission, die nationalen Strategiepläne an den Zielen ihres Green Deals in Bezug auf die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln (Farm to Fork Strategie) zu messen. Die größten Herausforderungen aus Sicht der Zivilgesellschaft spiegelten sich teils auch in den Farm to Fork-Zielen wider: Antibiotikaresistenzen, Pestizide und Gentechnik in der Lebensmittelerzeugung. Die Antibiotikaminimierungsstrategie der Bundesregierung sei an ihr Ende gelangt, denn der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung in Deutschland steige laut der staatlichen Erfassung beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Außerdem gebe es noch keine klare Definition für Tierwohl, so dass Landwirt:innen noch immer der politische Rahmen für den Umbau ihrer Ställe fehle. Um Pestizide zu minimieren, sei z.B. die Ausweitung des Ökolandbaus entscheidend. Doch die Ökoförderung müsse massiv nachgebessert werden, denn wenn der Ökolandbau weiter so langsam wachse wie in Deutschland zwischen 2015 und 2020, werde das Ziel von 25% Ökolandbauanteil an der Agrarfläche statt 2030 erst im Jahr 2040 erreicht werden. Dabei gebe es beispielsweise schon heute eine Knappheit am Markt für Ökogeflügel, das teils aus Österreich importiert werde. Auch bei der Agrogentechnik versage die jetzige Agrarpolitik, weil gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit eine Aufweichung des EU-Gentechnikrechts in der Diskussion sei. Zusammenfassend seien Landwirtschaftsformen, die Ökosystemleistungen besonders berücksichtigen, noch immer nicht im Fokus der Agrarpolitik. Eine besonders große Herausforderung bestehe darin, die Exportfixierung der EU- Agrarpolitik zu beenden und statt Wachstum auf dem Weltmarkt nun eine Ernährungs- und Agrarsystemwende im Binnenmarkt zum Ziel zu erklären. Als Beispiel nannte sie die Milchpreiskrise, die politisch durch die Marktliberalisierung der Milchmenge noch angeheizt worden sei und einseitig Exportinteressen der Ernährungsindustrie diene.
Einen Hoffnungsschimmer erlaube hingegen der neue Koalitionsvertrag in Deutschland. Beispielsweise seit dort angekündigt, die Begleitverordnungen zur GAP „unverzüglich“ im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes nachzubessern. Für das Jahr 2023 sei eine GAP-Evaluation versprochen. Der Koalitionsvertrag verankert zudem das Ziel, bis 2030 30% Ökolandbau zu erreichen und die EU-Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Für Ökosystemleistungen besonders relevant sei auch, dass es einen Bundesnaturschutzfonds und eine nationale Moorschutzstrategie geben soll. Der Koalitionsvertrag liefere außerdem brauchbare Ansätze für die Gemeinwohlprämie und Reduktion der Tierbestände, wenngleich beides nicht explizit zu finden sei. Die DUH sehe ergänzend die Notwendigkeit, dass die neue Bundesregierung den Aufbau einer Allianz der EU-Staaten vorantreibe, die sich für eine Gemeinwohlprämie und damit für eine tiefgreifende EU-GAP-Reform stark machten.
Gesundheit und Lebensqualität: Gute Gründe der Natur mehr Die Gemeinwohlprämie im Zentrum einer neuen Förderlogik? Die Zeit ist reif!
Dr. Jürgen Metzner, seit 2009 Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Landschaftspflege (DVL), plädierte für eine Entlohnung der Landwirtschaft für ihre Gemeinwohlleistungen über den Ansatz der Gemeinwohlprämie. Mit diesem vom DVL in Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen und Baden-Württemberg entwickelten Konzept könne das Fördersystem der GAP zukünftig nachhaltig ausgerichtet werden. Dieses basiere darauf, landwirtschaftliche Betriebe für ihre erzielten flächenbezogenen Umweltleistungen durch ein Punktwertverfahren für einzelbetriebliche Bewirtschaftungsmaßnahmen zu honorieren. Dadurch solle die konventionelle Landwirtschaft nicht ausgeklammert werden; durch die höheren erbrachten Leistungen würden allerdings Biobetriebe besser abschneiden. Die bundesweit anwendbare Gemeinwohlprämie beinhaltet einen Katalog von Steckbriefen für 19 Maßnahmen, die gemäß ihrer Wertigkeit für den Biodiversitäts-, Klima- und Gewässerschutz bepunktet würden. Dieser Katalog umfasst die Nutzungskategorien Ackerland, Grünland, Sonderkulturen und Hoftorbilanzen, aus denen Betriebe die für sie passenden Maßnahmenkombinationen auswählen können. Die gesamtbetrieblich erbrachten Leistungen würden honoriert, indem die erzielten Punkte summiert und vergütet werden. Nach einer Analyse des Thünen-Instituts könne die Gemeinwohlprämie sehr gut als Basis für eine Reform der GAP genutzt werden; dementsprechend haben sich bereits die Agrarministerkonferenz, Bundesrat und Bundestag ebenso damit befasst wie politische Parteien das Konzept aufgegriffen, siehe etwa das Wahlprogramm der Grünen. Auch die EU-Kommission habe dem Konzept der Gemeinwohlprämie ein gutes Zeugnis ausgestellt. Selbstverständlich könne sie noch weiter verbessert werden, wünschenswert wäre es, wenn sie bei der GAP-Reform künftig fest eingeplant würde als Methode, um den Erhalt und die Bereitstellung von Ökosystemleistungen im Rahmen der Landwirtschaft mit öffentlichen Mitteln zu entlohnen.
Nachhaltigkeitsleistungen landwirtschaftlicher Betriebe nachweisen und honorieren
Christian Hiß, Geschäftsführer der Regionalwert Leistungen GmbH und Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung sowie Träger des deutschen Nachhaltigkeitspreises 2009, stellte einen betriebswirtschaftlichen Ansatz vor, um die gesellschaftlichen Leistungen von Landwirt:innen finanziell zu beziffern und zu honorieren. Durch die Regionalwert-Bewertungsmethode werden Grenzwerte und Kennzahlen erarbeitet. Darauf basierend berechnet das online-Tool Regionalwert-Leistungsrechnung, was Landwirt:innen für den Erhalt der Lebensgrundlagen und das Gemeinwohl leisten. Dafür werden soziale, ökologische und regionalökonomische Leistungen erfasst, Daten interpretiert, Leistungskennzahlen monetarisiert und Leistungsbilanzen geschaffener Mehrwerte ermittelt. So können Betriebe diese Leistungen bezahlt bekommen, beispielsweise am Markt, durch Kompensationsgelder, oder durch öffentliche Mittel etwa über die GAP. Die Regionalwert-Nachhaltigkeitsanalyse sei ein anderes Online-Tool, dass keine monetären Werte beziffert, sondern anhand einer Farbskala die Einschätzung der Nachhaltigkeitsleistungen zeige, siehe etwa www.quartavista.de/abschlussbericht. Solche Instrumente seien beispielsweise für die externe Berichterstattung von Betrieben anwendbar sowie für die Vergütung von Leistungen durch öffentliche Mittel, aber auch beispielsweise durch finanzielle Mittel wie die Zinsbindung bei Krediten an Nachhaltigkeit.
Diskussion
Anschließend wurde diskutiert, welche Konzepte man wirklich in die Agrarpolitik übertragen könne. Explizite Hindernisse für die Gemeinwohlprämie im Speziellen gebe es im Koalitionsvertrag nicht, sondern eher Chancen. Leider seien Negativwirkungen für die Biodiversität und sozioökonomische Aspekte auch nicht ausgeschlossen, beispielsweise in den Passagen des Koalitionsvertrags zur Gentechnik und zum Verkehr.
Es wurde angemerkt, dass Natura 2000 und einige Leistungen wie die Moorwiedervernässung über die GAP hinaus finanziert werden müssten. Für einige Ziele seien andere Maßnahmen notwendig als sie sich in einem Punktesystem abbilden lassen. Es wurden andere potentielle Finanzmodelle erwähnt wie der Handel mit CO2-Zertifikaten, der allerdings u.a. wegen fehlender Messmethoden für die reale Speicherleistung im Boden kritisiert wurde. Kooperative Modelle wie in den Niederlanden wurden als über Einzelbetriebe hinausgehend gewürdigt, zugleich wurde aber festgestellt, dass sie ein wirksames Ordnungsrecht im Zweifel nicht ersetzen könnten. Neue Betriebsmodelle und -perspektiven seien notwendig. Die Überzeugungsarbeit bei den Landwirt:innen sei allerdings anspruchsvoll. Für manche Maßnahmen wie Moorwiedervernässung seien außerdem langfristige Verträge notwendig. Die Verwaltung wirke oftmals leider nicht aufgeschlossen, wenn es darum gehe, öffentliches Geld durch die Einführung gemeinwohlorientierter Prämienmodelle effizienter zu verwenden, allein bereits deshalb, weil es eine Veränderung bedeute. Politiker:innen und Landwirt:innen seien zwar teilweise aufgeschlossen vor allem brauche man allerdings mehr Bereitschaft seitens der Verwaltung. Die bereits existierenden Optionen, um Leistungen zu honorieren und die Brücke zur EU-Taxonomie und Sustainable Finance zu schlagen, veranlasse allerdings zu vorsichtigem Optimismus.