Von Katrin Schikorr, Deutsche Umwelthilfe (DUH)
EU-Verordnung für die Wiederherstellung der Natur
Im Juni 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission den lang erwarteten Vorschlag für die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Diese soll als erstes Gesetz EU-weit rechtsverbindliche Ziele für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und den Schutz der Natur in Europa festlegen und ist ein wesentlicher Baustein des Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), der die EU bis 2050 zum weltweit ersten klimaneutralen Kontinent machen soll. Die Verordnung sieht ein übergreifendes Schutz- und Erhaltungsziel sowie ökosystemspezifische Ziele vor. So sollen:
- bis 2030 auf mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur durchgeführt werden; und
- bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Das übergreifende Wiederherstellungsziel auf 20% der Fläche der EU fokussiert sich auf die bereits bestehenden Natura 2000-Gebiete, aber gilt darüber hinaus für eine grundlegende Wiederherstellung von Natur und Arten in Europa sowie eine bessere Vernetzung der Natura 2000-Gebiete. Ende 2021 umfasste das Natura-2000 Netz ca. 18,6% der Landfläche und 9% der Meeresfläche in der EU.
Über 80 Prozent der geschützten Lebensräume in Europa befinden sich in schlechtem Zustand. In Deutschland sind es fast 70 Prozent. Bisher wurden die Ziele zur Verbesserung und zur Trendumkehr der anhaltenden Verschlechterung des Naturzustands verfehlt. Durch die Intensivierung der Landnutzung, die voranschreitende Versiegelung von Flächen, den Verlust der Artenvielfalt und Extremwetterereignisse wie Dürren oder Brände, als Folge der Erderhitzung, verschlechtert sich die Situation weiter. Dabei sind intakte Ökosysteme unerlässlich, denn sie versorgen uns mit Wasser, Nahrung und Sauerstoff und puffern die Auswirkungen der Erderhitzung ab.
Intakte Ökosysteme sind die Grundlage für menschliches Wohlergehen und Wohlstand. Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen rechnen sich nicht nur – jeder in die Renaturierung investierte Euro schafft einen wirtschaftlichen Mehrwert von 8 bis 38 Euro. Die Stärkung der biologischen Vielfalt sorgt beispielsweise für eine verbesserte Bereitstellung vieler Ökosystemleistungen für den Menschen wie saubere Luft, sauberes Wasser und Nahrung oder eine effizientere Kohlenstoffbindung durch intakte Ökosysteme.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt und die Auswirkungen des Klimawandels schaden unserer Wirtschaft. In der EU belaufen sich die wirtschaftlichen Verluste durch klimabedingte Extremereignisse bereits auf durchschnittlich über 12 Mrd. EUR pro Jahr. Diese Verluste erhöhen sich bei der Inklusion des bereits existierenden Verlustes der biologischen Vielfalt. Der wirtschaftliche Nutzen des Natura-2000-Netzes wird auf bereits 200-300 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt. Rund 4,4 Millionen Arbeitsplätze hängen direkt von der Erhaltung gesunder Ökosysteme ab, von denen ein erheblicher Teil innerhalb der Natura 2000-Gebiete liegt.
Ziele und Maßnahmen des Kommissionsentwurfs
Neben dem übergreifenden Ziel von Wiederherstellungsmaßnahmen auf 20% der Fläche an Wasser und Land bis 2030 gibt es auch Ziele für Lebensraumtypen. Die ökosystemspezifischen Ziele legen fest, dass bis 2030 auf mindestens 30% der jeweiligen Fläche von Lebensraumtypen (Land-, Küsten- und Süßwasserökosysteme), die sich in schlechtem Erhaltungszustand befinden, Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt werden. Bis 2040 sollen 60 % und bis 2050 90 % wiederhergestellt werden, um das übergreifende Ziel der Wiederherstellung aller sanierungsbedürftigen Ökosysteme bis 2050 zu erreichen.
Bis 2030 sollen so z.B.:
» der Zustand von Seegraswiesen, Sedimentböden, Makroalgenwäldern sowie Schalentier- und Korallenriffen auf mindestens 30 Prozent der Fläche verbessert werden,
» der Verlust städtischer Grünflächen und Bäume im Vergleich zum Jahre 2021 gestoppt werden und Grünflächen bis 2050 um mindestens 5 Prozent zunehmen,
» Flussbarrieren identifiziert und beseitigt werden, so dass mindestens 25.000 Kilometer Flüsse wieder frei fließen können,
» der Rückgang von Bestäuberinsekten (wie Bienen, Hummeln, Schmetterlingen und Käfern) gestoppt und die Anzahl der Insekten erhöht werden,
» die biologische Vielfalt auf Agrarflächen zunehmen, durch u.a. mehr Strukturelemente und reduzierten Pestizideinsatz, und mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten entwässerten Moorflächen wiedervernässt werden und
» die biologische Vielfalt in Waldökosystemen wieder zunehmen, sowie eine positive Entwicklung zum Zustand der Wälder erreicht werden.
Die Umsetzung der Verordnung soll rechtlich u.a. durch die nationalen Wiederherstellungspläne erfolgen, die alle Mitgliedstaaten binnen 2 Jahren ab Inkrafttreten der Verordnung vorlegen müssen und deren Effektivität durch die Europäische Kommission geprüft wird.
Wissenschaft & Unternehmen unterstützen die EU-Verordnung für die Wiederherstellung der Natur
Eine starke Wiederherstellungsverordnung wird europaweit nicht nur von Wissenschaftler*innen, sondern auch von fortschrittlichen Unternehmen unterstützt, die die Notwendigkeit funktionierender Ökosysteme anerkennen. Die Natur liefert Materialien und viele Dienstleistungen, worauf die Unternehmen angewiesen sind. Am 15. Mai 2023 haben 14 Unternehmensnetzwerke einen aktualisierten Brief an die Ausschüsse für Umwelt, Landwirtschaft und Fischerei des Europäischen Parlaments geschrieben, in dem sie diese auffordern, ein ambitioniertes, solides und ehrgeiziges Gesetz zur Wiederherstellung der Natur durchzusetzen. Am 6. Juli 2023 haben zusätzlich mehr als 80 Unternehmen und Finanzinstitute die EU-Vertreter zur Stärkung und Durchsetzung bestehender Umweltregelungen – darunter auch das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur – aufgerufen, um die aktuelle Arten- und Klimakrisen zu bewältigen.
Folgende weitere Initiativen unterstützen die Verabschiedung einer ambitionierten Wiederherstellungsverordnung:
Stand der Verordnung und weitere Schritte
Der EU-Umweltrat hat am 20.6.2023 nach langen Verhandlungen und kurzfristigen Änderungen dem Ratsentwurf grundsätzlich zugestimmt. Nach monatelangen Verhandlungen wurden allerdings zahlreiche Ausnahmen, Abschwächungen und Flexibilität für die Mitgliedstaaten im Text festgelegt. Dazu gehören wichtige Ziele wie die Wiedervernässung von Mooren, die Wiederherstellung von Wäldern, aber auch der Zugang zu Rechtsmitteln.
In einem weiteren Schritt hat das Europäische Parlament am 12.07.2023 mit knapper Mehrheit für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt, dabei wurden die Inhalte jedoch stark abgeschwächt. Das Gesetz muss nun im Trilog zwischen Parlament, Kommission und Rat unter der spanischen Ratspräsidentschaft verhandelt werden. Dabei wird auf Grundlage der beiden geänderten Versionen von Umweltrat und Parlament entschieden, welche Ziele und Maßnahmen im finalen Gesetzestext stehen werden. Diese abgestimmte Version soll dann im Winterhalbjahr 2023/24 durch die EU-Institutionen angenommen und damit verabschiedet werden.
Jeder in die Wiederherstellung der Natur investierte EURO schafft einen wirtschaftlichen Mehrwert von 8 bis 38 EURO.
Europäische Kommission – DG Energie, Klimawandel, Umwelt