Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter Department Ökonomie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Analyse der Ursachen
Das ist die Bilanz. Aber was sind die Gründe dafür? Eine zentrale Ursache ist ökonomischer Natur: Die oft verborgenen Werte der Natur werden in unseren täglichen Entscheidungen systematisch vernachlässigt. Bestehende Märkte erfassen nur selten Ökosystemleistungen und wenn, dann meist nur Teile davon. Ansatzweise gilt das für den Ökotourismus oder den Wasserbereich, wo bestimmte Leistungen bereits bezahlt werden. Viele Ökosystemleistungen aber werden in keiner Weise vergütet. Oft genug gibt es nicht einmal Märkte für diese Leistungen. Es handelt sich ökonomisch gesprochen um öffentliche Güter, also Kollektivgüter, die über öffentliche Entscheidungen bereitgestellt werden müssten. Aber warum werden diese Kollektivgüter nicht angeboten? Die Antwort lautet: Weil wir es nicht schaffen, kollektiv die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Dazu sollten wir uns den Nutzen der Ökosysteme und der Biodiversität ansehen: Deren Vorteile nehmen viele Formen an und streuen weit. Beispiel Wald: Er bringt zuallererst Vorteile im lokalen Maßstab, also den Menschen, die von ihm leben. Im regionalen Maßstab passiert dies über den Wasserkreislauf oder das regionale Klima. Global gesehen bringt der Wald Nutzen für die Biodiversität oder als CO2-Senke. Das Problem: Die Kosten für Biodiversitätsschutz fallen sofort und oft auf einer regionalen oder lokalen Ebene an. Die Vorteile dagegen treten häufig erst in der Zukunft und auf einer globalen Ebene auf. Zudem sind sie indirekter Art. Ein Schutzgebiet auszuweisen bringt also auf der lokalen Ebene erst einmal nur Kosten, nämlich die Kosten für entgangene Gewinne (Opportunitätskosten). Der Nutzen liegt in der Zukunft und ist außerdem für die Entscheider vor Ort oft genug mit Unsicherheiten behaftet: Was bewirken die einzelnen Arten? Und wie wirkt sich der Biodiversitätsschutz in den Ökosystemen aus? Und wie sieht das aus der Sicht des Entscheiders aus? Er hat zwei Alternativen: Er kann sich für sichere Erträge in der Gegenwart entscheiden oder für sehr unsichere, die noch dazu weit in der Zukunft liegen. Das ist eines der Hauptprobleme – aus solchen verzerrten Entscheidungen ergibt sich die Biodiversitätsproblematik.
Die Wahl der Therapie
Was ist also die Therapie aus dieser Perspektive? Inwieweit kann hier eine ökonomische Inwertsetzung die Situation verbessern? Die Antwort: Wir müssen die Rahmenbedingungen anders setzen und dadurch das menschliche Verhalten beeinflussen. Und wie geht das? Nun, zunächst hilft uns das Millennium Ecosystem Assessments. Das ist eine systematische und weltweite Erfassung von Ökosystemen, ihren Funktionen und Leistungen. Aus diesem Assessment haben wir gelernt, welche Leistungen der Natur vorliegend, wo sie auftreten und wie gefährdet sie sind. Dann kommt die ökonomische Bewertung hinzu – hier haben wir den beginnenden Übergang von der Anerkennung ökologischer Leistungen hin zu einer ökonomischen Inwertsetzung. Das mag als kleiner Schritt erscheinen. In Wirklichkeit ist es ein sehr großer Schritt, denn er schärft das Bewusstsein für die Leistungen von Ökosystemen und macht deutlich, dass sie einen Wert haben. Und das gilt unabhängig davon, ob diese Werte monetär (in Geldeinheiten ausgedrückt), semi-quantitativ (mit bestimmten Kennzahlen) oder nur qualitativ (im Rahmen einer Beschreibung) erfasst werden. Wenn es gelingt, dadurch die inhärenten, oft verborgenen Werte der Natur stärker offen zu legen, kommt es zu einer anderen Wahrnehmung von Biodiversität.
Gleichzeitig zeigt sich hier bereits eine der großen Herausforderungen, denn methodisch ist es alles andere als einfach, diese Inwertsetzung sauber zu vollziehen. Da muss man sich mit Ersatzmärkten, Befragungen und allen möglichen Krücken behelfen. Einen Punkt gilt es hier besonders zu betonen: Wenn wir von Werten sprechen, dann möchte ich davor warnen, dies ausschließlich mit einer Monetarisierung in Verbindung zu bringen. Das wäre deutlich zu kurz gegriffen, denn wir haben Werte und Effekte auf ganz unterschiedlichen Ebenen, wie Gesundheit, Soziales, Einkommen und Sicherheit. Würde man hier ausschließlich monetär ansetzen, würde man nur die Spitze des Eisberges zu fassen kriegen, viele Werte bleiben aber unberücksichtigt. So oder so bleibt es schwierig, die Leistungen der Natur messbar zu machen, aber immerhin können wir versuchen, auf allen Ebenen – der Monetarisierung, der Quantifizierung und Qualifizierung – so weit zu gehen, wie es uns das Wissen erlaubt. Das ist die Idee, die hinter dem Millennium Ecosystem Assessment und dem Vorhaben TEEB – The Economics of Ecsystems and Biodiversity steckt.
Der Wert ökonomischer Werte
Und warum brauchen wir eigentlich ökonomische Werte? (Wohlgemerkt „Werte“ und nicht „Preise“!) Vor allem wegen ihrer Informationsfunktion. Sie machen unterschiedliche Dinge wie „menschengemachtes“ und „naturgemachtes“ Kapital oder verschiedene Arten von Ressourcen vergleichbar. Oder wir können durch eine solche Werterfassung unterschiedliche und breit streuende Werte aggregieren. Und wir können neue Märkte schaffen, denken Sie hier nur an den CO2-Handel. Vor 20 Jahren gab es diesen Markt nicht, seine Einführung war noch in den 1980er Jahren eine Revolution. Wie großartig wären die Möglichkeiten, wenn es uns gelänge, auch nur ansatzweise solche Märkte im Biodiversitätsbereich zu implementieren? Wir würden dadurch ganz neue Signale setzen. Sogar zukünftige Werte könnten so sichtbar gemacht werden, denn Märkte enthalten auch Optionswerte. Denken Sie hier an den Regenwald und das Potenzial für pharmazeutische Produkte. Teilweise reagieren die Pharmaunternehmen hier ja bereits. Ökonomische Werte können aber auch dazu beitragen, Armut und soziale Probleme zu bekämpfen: Wenn wir Werte analysieren, fragen wir immer auch, wer den Nutzen und wer die Kosten hat. Und wenn wir für lokale oder regionale Leistungen die Begünstigten und die Benachteiligten klar identifizieren können, sind wir auch besser in der Lage, Kompensationsleistungen zu zahlen. Das ist auch ein Gedanke, der hinter der ökonomischen Bewertung steht, der aber oft übersehen wird.
Zugleich, und das sollten wir nicht vergessen, haben ökonomische Werte auch eine Lenkungsfunktion. Es wird sozusagen ein Kompass geliefert: Politiker, Bürger und Unternehmen können ihre Verhaltensweisen an den „neuen“ Werten orientieren. Bei Entscheidungen wird besser abgewogen und schonender mit Naturressourcen umgegangen. Das ist mit dem Begriff Kompass umschrieben. Außerdem besteht die Möglichkeit, Zielkonflikte (Trade-offs) sichtbar und damit auch besser verhandelbar zu machen. Wir könnten endlich klar gegenüberstellen: Wenn eine Kommune darauf verzichtet, ein Industriegebiet ausweist, was kostet das dann und was ist andererseits damit gewonnen? Bisher sind solche Entscheidungen systematisch verzerrt, weil kein kalkulierbarer Wert für Natur oder Naturleistungen vorliegt. Wenn es uns gelingt, hier weiterzukommen, werden die Entscheidungen in unserem marktwirtschaftlichen, dezentralen Entscheidungssystem auf eine bessere Ebene gehoben. Denn bessere Entscheidungen sind möglich.
Es gibt bereits gute Beispiele, wie Natur und Ökosystemleistungen in Wert gesetzt werden können, überall auf der Welt. Wir können diese Beispiele sammeln, lernen, wo es klappt und nicht klappt, und überlegen, was übertragbar ist – auf andere Regionen und auf andere Sektoren und Bereiche. Ich möchte hier einige Beispiele nennen, wie die Einschleppung und Verbreitung der Zebramuschel in Nordamerika. Die Weichtiere breiteten sich ungewöhnlich rasch aus und verstopften Wasserleitungen. 100 Millionen Dollar kosten sie allein die Kraftwerksindustrie jährlich. Man erkennt, Monetarisierung funktioniert über Schäden. Ein anderes Beispiel hierfür: Der Schaden, den die Landwirtschaft in Großbritannien an anderen Ökosystemdienstleistungen verursacht, wird auf zehn Prozent der Einnahmen der Betriebe geschätzt.
Auch neue Märkte sind bereits entstanden, wie das „Wetland Banking“ in den USA oder das „Bio-Banking“ in Australien zeigen. In beiden Fällen kaufen Privatleute oder Unternehmen „Credits“, um ihren negativen Einfluss auf Feuchtgebiete oder die Biodiversität (zum Beispiel durch Landwirtschaft oder Bebauung) an anderer Stelle auszugleichen. Ökologen streiten noch darüber, ob aufgegebene und neue Flächen tatsächlich äquivalent sind. Aber jedenfalls wird hier bereits versucht, eine Kompensation zu schaffen. Und dazu braucht es vergleichbare Werte.
Auch sehr interessant: „Bienen an der Börse“, lautete eine Schlagzeile der Börsenzeitung vom 11.05.2007. In den USA hat man festgestellt, dass Anleger auf steigende Agrarpreise spekulieren, wenn der Honigpreis steigt. Das ist völlig klar, denn Bienen sind verantwortlich für die Bestäubung und damit auch für einen Teil der Erträge in der Landwirtschaft. Wissenschaftler haben dieser Funktion mittlerweile einen erstaunlich hohen Wert bescheinigt: viele Hundert Milliarden Euro wird die ökonomische Bedeutung der Bestäubung pro Jahr geschätzt.
Das Ziel von Naturkapital Deutschland
Was heißt das jetzt für die Naturkapital Deutschland Studie? Das Ziel der Studie ist, die ökonomischen Aspekte von Ökosystemen und Biodiversität in den Fokus zu rücken und einen umfangreichen Überblick über den diesbezüglichen Stand der Wissenschaft und der ökonomischen Methoden zu geben. Das Prinzip ist „Call for Evidence“. Wissenschaftler, aber auch Praktiker auf der ganzen Welt sind aufgerufen, Beispiele für Inwertsetzungen von Natur zuzusenden. Weil man von Beispielen sehr viel lernen kann. Es soll also keine neue Studie im Sinne neuer Ergebnisse produziert werden, sondern es ist eher eine Studie für „Jäger und Sammler“. Es geht um ein Zusammentragen von Beispielen, um eine Standortbestimmung. Und es sollen die Ansprüche verschiedener Anwendergruppen bedient werden Für mich als Ökonom sind dabei alle Zielgruppen wichtig, die Politik jedoch am allerwichtigsten, weil ich davon ausgehe, dass angemessene Rahmenbedingungen gesetzt werden müssen. Die Politiker sind jetzt aufgefordert, den Rahmen zu korrigieren, damit die Inwertsetzung ihre Informations- und Lenkungsfunktion entfalten kann. Dann kann sich der Einzelne in seinem Verhalten anpassen. Für den Schutz von Biodiversität und Ökosystemleistungen wäre viel gewonnen. Und für uns alle.