Mehr Stadtnatur, um die Krisen zu bewältigen: Biodiversität, Klima & Gesundheit

Mit der steigenden Nachfrage nach Flächen für Siedlungs-​ und Verkehrszwecke steigt der dauerhafte Verlust an Grünflächen in deutschen Städten. Das führt zu dem Verlust zahlreicher Ökosystemleistungen. Mit der Dichte der Bebauung steigt das Risiko von Luftverschmutzung und Hitzeinseln. Außerdem verursacht der motorisierte Individualverkehr in den Städten Feinstaub und Lärmbelästigungen und ist mit klimaschädigenden Emissionen verbunden. Diese Faktoren beeinträchtigen die menschliche Gesundheit und verursachen erhebliche Kosten im Gesundheitswesen. Stadtnatur und ihre vielfältigen Leistungen können dazu beitragen, gesundheitliche Risiken zu verringern. Bäume und Grünanlagen filtern die Luft und vermindern dadurch unter anderem die Konzentration gesundheitsschädlicher Feinstäube. Pflanzenbewuchs senkt die Lufttemperatur unter anderem durch die Verdunstungswirkung der Vegetation; gerade in Zeiten des Klimawandels mit der zu erwartenden Zunahme von Hitzeperioden spielt die Natur in den Städten eine wichtige Rolle.  

Von Ulrich Stöcker, Deutsche Umwelthilfe (DUH)

Mit der steigenden Nachfrage nach Flächen für Siedlungs-​ und Verkehrszwecke steigt der dauerhafte Verlust an Grünflächen in deutschen Städten. Das führt zu dem Verlust zahlreicher Ökosystemleistungen. Mit der Dichte der Bebauung steigt das Risiko von Luftverschmutzung und Hitzeinseln. Außerdem verursacht der motorisierte Individualverkehr in den Städten Feinstaub und Lärmbelästigungen und ist mit klimaschädigenden Emissionen verbunden. Diese Faktoren beeinträchtigen die menschliche Gesundheit und verursachen erhebliche Kosten im Gesundheitswesen. Stadtnatur und ihre vielfältigen Leistungen können dazu beitragen, gesundheitliche Risiken zu verringern. Bäume und Grünanlagen filtern die Luft und vermindern dadurch unter anderem die Konzentration gesundheitsschädlicher Feinstäube. Pflanzenbewuchs senkt die Lufttemperatur unter anderem durch die Verdunstungswirkung der Vegetation; gerade in Zeiten des Klimawandels mit der zu erwartenden Zunahme von Hitzeperioden spielt die Natur in den Städten eine wichtige Rolle.  

Biodiversität, Klima und Gesundheit müssen zusammengedacht werden.

Der Wert der Stadtnatur für Klimaschutz und -anpassung, für den Schutz der Biodiversität und für die Förderung der Gesundheit muss stärker in öffentlichen Entscheidungen berücksichtigt werden, sowohl in der Stadtplanung wie auch im Gesundheitssektor.

Am 23. November 2021 führte die Deutsche Umwelthilfe im Rahmen des Projektes „Natur ist unser Kapital“ eine Veranstaltung, um sich mit Expert:innen aus Politik, Kommunalverwaltungen, Wissenschaft und Gesellschaft auszutauschen, um gemeinsam Wege zu diskutieren für die Inwertsetzung der Stadtnatur und ihrer v. a. gesundheitsrelevanten Leistungen in den deutschen Städten.ik zu diskutieren.

Natur tut gut – Biodiversität, Klima und Gesundheit zusammendenken

Prof. Dr. Aletta Bonn, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), Halle-Jena-Leipzig, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, erläuterte, warum Biodiversität, Klima und Gesundheit zusammengedacht werden sollten, und stellte wissenschaftliche Studien vor, die die Rolle von Stadtnatur für die Gesundheit belegen. Die steigende Urbanisierung habe nicht nur negative Effekte auf Biodiversität und Klima, sondern verursache auch steigende Gesundheitskosten. Gesundheit und Wohlergehen der Menschen seien von den Leistungen der Natur und von der Biodiversität abhängig. Diese trage zum Klimaschutz, zur Versorgung von Nahrung und zur Reduktion von Gesundheitsrisiken bei, z.B. durch die Reduktion von Umweltstress, Hitze und Luftverschmutzung. Der Kontakt mit Biodiversität führe dazu, dass die Konzentration gestärkt und Stress reduziert werde. Grünflächen seien Orte für Erholung und physische Aktivitäten und tragen zum sozialen Zusammenhalt bei. So verstärke bereits eine Zweistunden-Dosis an Natur signifikant die Gesundheit. Sie bezeichnete deshalb urbane Grünflächen als „Gesundheitsmotor“ und stellte drei Studien vor, deren Koautorin sie ist und die den positiven Effekt urbaner Grünflächen zeigen. Die Studie von Methorst et al. (2020) zeigt, dass die Vogelartenvielfalt die Lebenszufriedenheit in europäischen Ländern erhöht. Die Studie von Marselle et al. (2020) zeigt den positiven Effekt der Dichte von Straßenbäumen auf die Reduktion des Risikos für Depressionen am Beispiel von Leipzig. Die Studie von Uebel et al. (2021) zeigt am Beispiel einer Region in Australien, dass die empfundene Erholung mit dem empfundenen Artenreichtum zusammenhängt und dass Verkehrslärm diese positive Wirkung mildert. Prof. Aletta Bonn plädierte für eine Stadtplanung, die Biodiversitäts- und Gesundheitsaspekte integriert, für die Einbeziehung der Gesundheitsämter und für mehr politisches und zivilgesellschaftliches Engagement, um diese Aspekte bei internationalen, nationalen und lokalen politischen Zielen zu fördern. WHO und CBD arbeiten unter dem Motto „Connecting global Priorities“ bereits an „Biodiversity & Human Health”.

Gesundheit und Lebensqualität: Gute Gründe der Natur mehr (Stadt-)Raum zu geben

Prof. Dr. med. Claudia Hornberg, Universität Bielefeld, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), stellte die Beziehung zwischen der menschlichen Gesundheit und Natur in den Städten vor. Stadtgesundheit impliziere neben sozialen Dimensionen und anderen Lebensqualitätsaspekten auch Umweltschutz. Einerseits sei die Gesundheitsversorgung in Städten besser, anderseits gäbe es, wie der SRU herausgearbeitet habe, auch Gesundheitsbelastungen im urbanen Raum wie Lärm, Hitzestress und Luftschadstoffbelastungen, insbesondere bei Menschen mit niedrigem Sozialstatus – international i. Ü. auch „Kältetote“. Über eine gute Grünraumplanung können diese Belastungen gemindert werden. Die Natur trägt zum Beispiel zur Erholung, Kühlung, Versorgung mit sauberem Wasser, zum Klimaschutz und zur Luftqualität bei. Außerdem diene die Natur der Ästhetik und als sozialer Begegnungsraum. Die Natur durch Bewegungsförderung und das Naturerleben trage zu positiven physischen und psychischen Gesundheitswirkungen bei. Grüne Infrastruktur reduziere außerdem die Gesamtsterblichkeit. Die Multifunktionalität der grünen Räume solle in Planungsprozesse verstärkt integriert werden, da sie zur Lebensqualität beitrage. Für die Flächennutzungspläne seien Indikatoren im gesundheitlichen Kontext für die Qualität der Räume notwendig. Neben dem Aufhalten des Flächenverbrauchs durch Schutz und ökologische Aufwertung von Lebensräumen und die Beachtung des Gebots „Innen- vor Außenentwicklung“ seien auch eine Energie- und Wärmewende, die Dekarbonisierung des Verkehrs in den Städten und eine Mobilitätswende mit weniger Lärm und Luftbelastung sowie weitere Klimaanpassungsmaßnahmen sehr wichtig. Wir brauchen einen Brückenbau zwischen diesen verschiedenen Disziplinen.

Mehr als die Summe seiner Teile: Gesellschaftliche Wertigkeit des Tempelhofer Feldes in Berlin

Dr. Christoph Schröter-Schlaack, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, stellte die Studie von Brenck et al. (2021) vor, deren Koautor er ist. Diese habe im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die gesellschaftliche Wertigkeit des Tempelhofer Feldes in Berlin in seiner gegenwärtigen Nutzung erfasst und einen Ansatz dargelegt, wie unterschiedliche Werte fokussiert werden könnten, um mit Hilfe des Konzepts der Ökosystemleistungen ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Dabei würden sowohl Mensch-Natur- als auch Mensch-Mensch-Beziehungen berücksichtigt. Das Zusammenspiel von großen Naturschutz- und Erholungsflächen inmitten der Dichte einer Stadt sei in dieser Form einzigartig. Das T. Feld biete als urbaner Naturraum eine Kombination verschiedener ökologischer Leistungen wie Klimaregulation, Luftverbesserung, Lärmminderung und Artenvielfalt sowie vielfältige Möglichkeiten für Sport, Freizeit, Bildung, Kultur und Kreativität. Es sei außerdem ein Raum der sozialen Begegnungen und demokratischen Aushandlungen. Solche grünen öffentlichen Freiflächen haben einen sehr hohen Wert angesichts der großen Herausforderungen wie z.B. Klimawandel, Umweltbelastungen und bauliche Verdichtung. Der Gesamtwert des Tempelhofer Feldes sei schwer zu erfassen und lasse sich nicht präzise darstellen. Die verschiedenen Werte griffen ineinander, seien miteinander verwoben, bedingten sich zum Teil gegenseitig und müssten daher als Ganzes im Sinne einer Zusammenschau betrachtet werden. Der Gesamtwert übersteige die Summe der Werte aus den Einzelperspektiven.

Ökosystemleistungen in der Stadtplanung sichern und entwickeln – Rahmenbedingungen, Akteure, Prozesse und Instrumenteschutz als Investition

Dr. Sonja Deppisch, HafenCity Universität Hamburg, berichtete aus dem BMBF-geförderten Projekt „Ökosystemleistungen in der Stadtplanung sichern und entwickeln – Rahmenbedingungen, Akteure, Prozesse und Instrumente (ÖSKKIP)“ und sprach über die Integration von Ökosystemleistungen in der Stadtplanung am Beispiel der Großstädte München und Rostock und der in deren Umfeld gelegenen kleineren Städte Dachau und Bad Doberan. Dafür müsse die Politik die Rahmenbedingungen setzen. Im Sinne der rechtlichen Umsetzung und Planung sollten der Mehrwert von Ökosystemleistungen klar herausgestellt und diese als gemeinsame Grundlage kommuniziert werden. Vorhandene Rechtsvorschriften sollten geschärft und um Ökosystemleistungen ergänzt werden. Man müsse weg von einer bloßen Flächennutzung hin zu einer wahren Stadtplanung; so werde im hessischen Wetzlar bereits der Ökosystemsleistungsansatz im Flächenmanagement verfolgt. Wichtig seien in diesem Kontext Beteiligungsprozesse unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Das Potential und die Nachfrage nach Ökosystemleistungen müssten bestimmt werden, um diese gemeinsam mit Politik und Gesellschaft abzuwägen. Ökosystemleistungen könnten zumindest als Fachbeitrag integriert werden oder sogar als Querschnittsthematik über alle Bereiche, was über eine eigene Institution mit Planungskompetenz gelingen würde. Dafür müsse eine Toolbox identifiziert werden; Ökosystemleistungen müssten in standardisierter Form bewertet werden. Auch Tools zum Aushandeln und Kommunizieren von Ökosystemleistungen seien notwendig.

Renaturierung von terrestrischen Ökosystemen

Stefanie Heinze vom Bundesamt für Naturschutz wies darauf hin, dass die Renaturierung in Deutschland sehr facettenreich sei. Ziele könnten in der Kulturlandschaft ganz verschieden aussehen und müssten an sich ändernde Bedingungen angepasst werden. Als Herausforderungen für die Zukunft nannte sie unter anderem die Flächenverfügbarkeit, die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Naturschutz und Flächennutzer:innen und die Einbeziehung der Ökosystemleistungen, um den gesellschaftlichen Mehrwert von Naturschutzmaßnahmen zu verdeutlichen. Anstrengungen zur Renaturierung müssten bundesweit intensiviert werden, um die natürlichen Funktionen langfristig zu sichern.

Diskussion

Anschließend wurde diskutiert, dass die Erfassung von Ökosystemleistungen zwar eine Quantifizierung und eine Bewertung, nicht aber notwendigerweise eine Monetarisierung impliziere.  Es gehe nicht nur um die ökonomische Bewertung der Leistungen der Natur, sondern auch um die Vielfältigkeit der Bewertung.  Es wurde argumentiert, dass Zahlen im politischen Prozess sehr wichtig seien, unter anderem auch um Personal- und Sachmittel zugewiesen zu bekommen, da die biologische Vielfalt selbst für die Politik nur schwer greifbar sei. Aus wissenschaftlicher Perspektive würde man sich aber in bestimmten Fällen gegen eine Monetarisierung entscheiden, da Mensch-Mensch-Interaktionen nicht monetär erfasst werden können. Wir bräuchten nicht unbedingt mehr Daten, um mehr Zahlen zu generieren, sondern eher mehr Verantwortung der Politik sowie Handlungstools für Entscheidungsträger:innen. Aus der Politik kam dennoch die Bitte an die Wissenschaft, sich um Zahlen zu bemühen – nicht unbedingt monetäre Werte, aber z.B. Indikatoren, um den Erfolg zu messen oder Flächenaussagen zu treffen.

Während der Diskussion wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Gesundheit im Ökosystemleistungsansatz nicht nur die menschliche Gesundheit impliziere, sondern auch die Qualität der Ökosysteme. Karsten Grunewald vom IÖR verwies in diesem Zusammenhang auf die von der EU-KOM geplante Bodenschutzstrategie. Zu der Frage der natürlichen Entwicklung gegenüber dem Management von Ökosystemen wurde argumentiert, dass es immer ein Abwägen zwischen dem gesamten Ökosystemleistungsspektrum geben müsse. 

Die Wissenschaft könne Annährungen als Grundlage für die Politik geben, die Entscheidungen könne sie aber nicht abnehmen. Es gebe viele Möglichkeiten, um den Wert der Natur zu kommunizieren. Es gehe darum, die Natur in der Planung zu integrieren und in Entscheidungsgrundlagen zu übersetzen. Biodiversität und Gesundheit müssten nicht immer zusammen behandelt werden; wichtig sei aber, beides zu berücksichtigen. Es sei wichtig, dass die Politik sagt, was sie für ihre Arbeit braucht, und dass sie Fragen an die Wissenschaft stellt. Nochmals deutlich hervorgehoben wurde die Wichtigkeit von partizipativen Prozessen. Wir bräuchten sowohl eine fachlich fundierte Auseinandersetzung mit diesem Thema wie auch dessen gute Kommunikation, um es auf die planerische und politische Tagesordnung zu bringen.

Dass verschiedene Disziplinen auf dieses Thema schauen, sei sehr gut; allerdings seien anwendungsorientierte Perspektiven notwendig und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit z.B. zwischen Gesundheits-, Sozial- und Umweltämtern.  Die Ausbildung im Gesundheitssektor biete aber beispielsweise keine planerische Perspektive an. Das müsse sich ändern. Naturschutz müsse als Investition in den verschiedenen Bereichen betrachtet werden. Martin Schulte von der DBU verwies in diesem Kontext auf die Förderung einer Reihe verschiedener Projekte zum Thema „Planetary Health“.

Über dieses Projekt

Natur ist unser Kapital ist eine Kampagne, um den Wert unseres Kapitals Natur anhand der Aufbereitung von Fallbeispielen aus Wissenschaft und Praxis sichtbar zu machen. Intakte und funktionsfähige Ökosysteme und ihre Leistungen bilden die Existenzgrundlage unseres Lebens. Dennoch wird der Wert dieses Kapitals nicht ausreichend in öffentlichen und privaten Entscheidungen berücksichtigt.

Unsere Art und Weise des Wirtschaftens und Konsumierens führt zu einer Überlastung der Natur. Das beeinträchtigt die Bereitstellung viele ihrer Leistungen und bedroht unsere Gesundheit, Lebensqualität und unser Wohlbefinden. Die Natur ist aus ökonomischer Sicht ein notwendiger Kapitalbestand, den wir erhalten und wiederherstellen müssen.

Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur und ihre Leistungen!

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