Von Dr. Elsa Maria Cardona Santos, Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Die ökologischen Grundlagen unserer Gesundheit, unseres Wohlbefindens und unserer Wirtschaft sind bedroht. Unsere Art und Weise des Wirtschaftens und Konsumierens und die damit eingehende Überlastung der Ökosysteme haben uns in eine globale Krise geführt. Ohne die Wiederherstellung unserer Ökosysteme werden wir weder das Artensterben noch die Klima- und die Wasserkrise bewältigen können. Wir brauchen die Natur und ihre Leistungen. Die Natur ist ein Kapitalbestand, der wiederhergestellt werden muss!
Die Vereinten Nationen (UN) haben deshalb das Jahrzehnt von 2021-2030 zur Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen erklärt. Die Welt müsse eine Fläche von der Größe Chinas „rewilden“ und wiederherstellen, um die Verpflichtungen für die Natur und das Klima zu erfüllen, sagen die UN. Die Menschen verbrauchen jedes Jahr etwa das 1,6-fache der Ressourcen, die die Natur nachhaltig erneuern kann. Bestehende Schutzbemühungen reichen nicht aus, um den weit verbreiteten Verlust der Artenvielfalt und den Zusammenbruch von Ökosystemen zu verhindern, warnte die Weltorganisation zum Start der Dekade der Wiederherstellung von Ökosystemen am 5. Juni.
In ihrem dringenden Aufruf zur großflächigen Wiederbelebung der Natur werden alle Teile der Gesellschaft einschließlich Regierungen, Unternehmen und Bürger aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um Ackerland, Wälder, städtische Gebiete, Grasland, Savannen und Meeresökosysteme wiederherzustellen und zu „rewilden“. Die Regierungen müssen die Verpflichtung einhalten, bis 2030 mindestens 1 Milliarde Hektar Land wiederherzustellen und ein ähnliches Versprechen für die Ozeane abgeben, so der Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) zum Start der Dekade.
Die EU-Biodiversitätsstrategie kündigt einen „ehrgeizigen EU-Naturwiederherstellungsplan“ an, um Arbeitsplätze zu schaffen, wirtschaftliche Aktivitäten mit dem Naturschutz in Einklang zu bringen und den langfristigen Wert des Naturkapitals zu schützen.
Am 23. November 2021 diskutierte die Deutsche Umwethilfe mit Expert:innen auf europäischer und nationaler Ebene über das Potential von „Rewilding“ zur Wiederherstellung von Ökosystemen in Deutschland und der EU – auch für Wirtschaft und Gesellschaft und über die diesbezügliche Rolle der Politik. Denn dies bedeutet auch, den Wert der Leistungen intakter Ökosysteme stärker in öffentliche und private Entscheidungen zu integrieren.
Das neue Naturwiederherstellungsgesetz der Europäischen Union
Laura Hildt, European Environmental Bureau, erläuterte die Forderungen der NGOs an das neue Naturwiederherstellungsgesetz, das die Europäischen Union (EU) noch im Jahr 2021 vorlegen will. Dieses soll rechtsverbindliche Ziele beinhalten, um bis 2050 Ökosysteme in der EU wiederherzustellen und in einem guten ökologischen Zustand zu erhalten, insbesondere jene, die das größte Potenzial für die Speicherung von CO2 sowie für die Verhinderung und Eindämmung der Auswirkungen von Naturkatastrophen aufweisen. Diese Ziele seien aber nicht ambitioniert genug. Die NGOs fordern die Wiederherstellung von 15% der degradierten EU-Land- und Meeresfläche bis 2030, die Umwandlung von 15% der Flusskilometer in frei fließende Flüsse und grundlegende Änderungen in Land-/ Meeresnutzung und Management. Die meisten Ziele und deren Implementierung sollen außerdem bereits im ersten Schritt stattfinden und nicht auf die Zukunft verlegt werden. Dieses Gesetz könne eine große Chance für u. a. Biodiversität, Gesundheit, Klimaschutz und Klimaanpassung sein, sofern zusätzliche Ziele festgelegt werden, und nicht solche, die bereits in anderen Programmen und Strategien existieren.
Renaturierung und Ökosystemleistungen – Wie verhält sich das zu Rewilding?
Prof. Johannes Kollmann vom Lehrstuhl für Renaturierungsökologie an der Technischen Universität München wies auf die verschiedenen Herangehensweisen hin, die Natur wiederherzustellen. Dabei könnten sowohl ursprüngliche natürliche Ökosysteme wie auch durch menschliche Nutzung entstandene Ökosysteme wiederhergestellt werden oder gar neue Ökosysteme geschaffen werden. Die Form der Wiederherstellung der Ökosysteme hänge dabei von den Zielen ab. Es gäbe oft Konflikte zwischen verschiedenen Naturschutzzielen; bestimmte Maßnahmen könnten trade-offs in der Bereitstellung von Ökosystemleistungen implizieren. Rewilding impliziere, einst heimische Wildtiere wieder anzusiedeln und natürliche Prozesse ungestört ablaufen zu lassen, also eher eine passive unvorhersehbare Wiederherstellung. Große Herausforderungen seien dabei die Kulturlandschaften und Ordnungsliebe der Deutschen auf der einen Seite und die Bewirtschaftung auf der anderen. Große Flächen seien notwendig für diesen Wiederherstellungsansatz sowie eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Wildtieren.
Wilder nature as our ally: Rewilding in practice, on a landscape scale
Wouter Helmer von Rewilding Europe präsentierte mehrere positive Fallbeispiele in Europa, wo ein Rewilding erfolgreich umgesetzt wurde. Beispielsweise kommen Natur und Wildtiere zurück in das Coa-Tal im Osten Portugals. In Kombination mit einigen der alten lokalen Traditionen und Produkte habe Rewilding dort neue Einkommensquellen für die Bewohner der Region geschaffen. Die natürliche Beweidung durch große Pflanzenfresser trage außerdem zur Waldbrandprävention bei. Rewilding finde auch bereits in Deutschland statt. Im Oder Delta soll eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Verbindung mit Rewilding die natürlichen Schätze der Region langfristig sichern. Die Rückkehr von charismatischen Arten wie Wisent oder Elch und ein nachhaltiger Naturerlebnistourismus, in Kombination mit naturnaher Landwirtschaft und lokalen Produkten und Dienstleistungen biete neue Einkommensmöglichkeiten in der Region, verbessere die Lebensqualität der Menschen vor Ort und sichere die Bereitstellung wichtiger Ökosystemleistungen. Aus dem Naturschutz ökonomische Vorteile zu schaffen und durch den Naturschutz andere Probleme zu lösen, sei eine
Herausforderung, aber auch gleichzeitig eine Chance, um auch private Finanzierungen für die Wiederherstellung von Ökosystemen zu erschließen.
Naturschutz als Investition
Dr. Jasper Meya vom Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung argumentierte, dass Naturschutz(ausgaben) nicht als Kosten, sondern als Investitionen in die zukünftigen Leistungen des Naturkapitalbestandes zu verstehen seien. Naturschutzmaßnahmen erhöhen den Naturkapitalbestand und damit den Erwartungswert zukünftiger Ökosystemleistungen. Das Naturkapital verspreche eine durchschnittliche Rendite von 19% gegenüber der 5% Rendite beim produzierten Kapital (durchschnittliche, globale Rendite auf Aktien und Immobilien). Der Naturschutz sei eine lohnende Investition, die chronisch unterfinanziert sei, was volkswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen sei. Falsche Anreize seien die Ursache dafür, beispielsweise ein Marktpreis, der kleiner sei als der gesellschaftliche Wert der Ökosystemleistungen und negative Preissignale durch naturschädigende Subventionen.n schaffen.
Rewilding als regionale Entwicklungsperspektive? Das Konzept der „Ecosystem Service Opportunities“tzungsplan der GAP in Deutschland müssen die Details noch festgelegt werden
Dr. Christoph Schröter-Schlaack vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung präsentierte das Konzept der „Ecosystem Service Opportunites“, die potentielle Integration von Naturwiederherstellung in unser ökonomisches System. Rewilding beeinflusse die Nutzungsmöglichkeiten der Landschaft; wo beispielsweise Naturtourismus entstehe, seien andere ökonomische Aktivitäten beschränkt. Die Kosten müssten kompensiert werden sowie hemmende und fördernde Faktoren identifiziert werden, um auf regionalwirtschaftliche Ebene grünes Wachstum zu schaffen. Es müsse geklärt werden, welche neue Ökosystemleistungen bereitgestellt werden und welche nicht mehr und wer davon betroffen wäre. Eine Kooperation mit den verschiedenen Akteur:innen sei in dieser Hinsicht erforderlich.Allein dadurch, dass die nicht effektiven Maßnahmen aus der GAP weggestrichen würden, wäre schon viel erreicht für den Naturschutz. Mit direkten Zahlungen können man viel erreichen. Allerdings gebe es viele Unsicherheiten in Bezug auf den GAP-Prozess und mangele es an Transparenz bei der Entwicklung der strategischen Pläne der Länder.
Renaturierung von terrestrischen Ökosystemen
Stefanie Heinze vom Bundesamt für Naturschutz wies darauf hin, dass die Renaturierung in Deutschland sehr facettenreich sei. Ziele könnten in der Kulturlandschaft ganz verschieden aussehen und müssten an sich ändernde Bedingungen angepasst werden. Als Herausforderungen für die Zukunft nannte sie unter anderem die Flächenverfügbarkeit, die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Naturschutz und Flächennutzer:innen und die Einbeziehung der Ökosystemleistungen, um den gesellschaftlichen Mehrwert von Naturschutzmaßnahmen zu verdeutlichen. Anstrengungen zur Renaturierung müssten bundesweit intensiviert werden, um die natürlichen Funktionen langfristig zu sichern.
Renaturierung von marinen Ökosystemen
Dr. Manuel Dureuil vom Bundesamt für Naturschutz präsentierte potenzielle marine Maßnahmen, wie die Wiederherstellung und Aufwertung von Seegraswiesen sowie geogener und biogener Riffe, die Wiederansiedlung der Europäischen Auster und die Stützung sensitiver/bedrohter/selten gewordener Arten wie Hummer, Nagelrochen oder Stör. Er plädierte dafür, dass Maßnahmen nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern die Ziele sich der Umwelt anpassen und die bedrohten Arten in den Fokus genommen werden sollten.
Diskussion
Während der Diskussion wurde der Landschaftsbezug als relevante Ebene für die Wiederherstellung von Ökosystemen dargestellt. Es wurde argumentiert, dass die Ökonomie sowohl bei der Bewertung wie auch bei der Inwertsetzung unterstützen könne. Für identifizierte Stakeholder müssten Anreize geschaffen werden. Die Zusammenarbeit mit Akteur:innen und die Harmonisierung mit sozio-ökonomischen Aspekten sei unabdingbar. Oft liege die Priorität aus biologischer Sicht oft dort, wo es nicht so hohe Produktivität gibt und somit geringere Opportunitätskosten entstünden. Passende Kompensationsmöglichkeiten seien in jedem Fall notwendig.