Von Isabel Seeger und Eva Schmidt
Warum sind unsere Meere so wichtig?
Meere sind nicht nur Nahrungslieferant, sondern beherbergen auch die weltweit größte Artenvielfalt und produzieren etwa die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen1. Außerdem sind Meeresökosysteme die größte Kohlenstoffsenke der Welt und stabilisieren unser Klimasystem: In den vergangenen zwei Jahrhunderten haben die Meere mehr als 30 Prozent des von Menschen ausgestoßenen Kohlenstoffdioxids (CO2) aufgenommen, dazu in den letzten 50 Jahren auch noch 90 Prozent der überschüssigen Wärme2. Diese „Leistungen“ der Meere haben ihren Preis: Versauerung und Erwärmung, welche sich wiederum negativ auf Fischpopulationen auswirken. Ohne die Meere wäre die Erde seit der industriellen Revolution schätzungsweise schon 36 Grad wärmer3. Damit das Meer diese komplexen Funktionen erfüllen kann, braucht es intakte marine Ökosysteme. Fische, Meeressäuger und andere Meeresbewohner sind ein wesentlicher Teil des marinen Kohlenstoffkreislaufes, der dafür sorgt, dass das Meer so viel CO2 speichern kann. Dies wird auch „biologische Kohlenstoffpumpe“ genannt. Ein Teil des CO2, das mit dieser biologischen Pumpe befördert wird, setzt sich auf dem Meeresboden ab. Diese Sedimente speichern schätzungsweise 38 Billionen Tonnen Kohlenstoff und sind damit das größte Reservoir an organischem Kohlenstoff auf der Erde4.
Biologische Kohlenstoffpumpe
Die biologische Kohlenstoffpumpe ist ein Teil des marinen Kohlenstoffkreislaufes. Die Grundlage der biologischen Pumpe sind Phytoplankton und andere Meerespflanzen, die in der Nähe der Wasseroberfläche das CO2 aus der Atmosphäre in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2) umwandeln und in ihren Zellen binden. Wenn diese Pflanzen von Zooplankton oder Fischen und diese dann wiederum von anderen Organismen gefressen werden, wird der Kohlenstoff im Nahrungsnetz weitergegeben.5 Entlang der Nahrungskette sterben Tiere ab oder scheiden einen Teil ihrer Nahrung wieder aus, wodurch kleine, kohlenstoffhaltiger Partikel in die Tiefe absinken. Kurz gesagt: durch die biologische Kohlenstoffpumpe wird Kohlenstoff von der Oberfläche in tiefere Meeresschichten transportiert und lagert sich dort im Sediment ab, wo er Jahrzehnte oder sogar Jahrtausende gespeichert werden kann.
Was ist das Problem?
Massive, unablässige Überfischung der Meere hat viele Fischpopulationen dezimiert und damit auch die Effektivität der biologischen Kohlenstoffpumpe verringert. Es wird geschätzt, dass wir seit 1950 die Hälfte der marinen Biomasse aus den Meeren gefischt haben6. Und trotz Zusage etwa der EU, die Überfischung bis spätestens 2020 zu beenden, werden ein Drittel aller EU-Fangquoten noch immer über den wissenschaftlichen Empfehlungen festgesetzt7. Überfischung hat nicht nur zu einer erheblichen Reduzierung der marinen Biomasse und Einschränkung der biologischen Kohlenstoffpumpe geführt,88 auch der immense Treibstoffverbrauch der Fischereiflotten befeuert die Klimakrise. Besonders problematisch für Meere und Klima ist der Einsatz von Grundschleppnetzen, denn sie führen zu viel Beifang, sind treibstoffintensiv, zerstören Ökosysteme am Meeresboden und setzten im Sediment gespeicherten Kohlenstoff frei. Die europäischen Meeresgewässer sind die am stärksten mit Grundschleppnetzen befischten Meere der Welt9 und 79 Prozent des Meeresbodens in EU-Küstengewässern gelten als physisch gestört10. Daher bedarf es einer ganzheitlichen Art der Bewirtschaftung von Meeresressourcen, bei der das gesamte Ökosystem und nicht nur eine Art berücksichtigt wird. Das Ziel muss sein, die Funktionsfähigkeit des Ökosystems zu erhalten.
Was ist ökosystembasiertes Fischereimanagement (ÖBFM)?
Das ökosystembasierte Fischereimanagement (ÖBFM) zielt auf die Erhaltung gesunder und widerstandsfähiger mariner Ökosysteme und der von ihnen abhängigen Fischereien ab.
- Ökosystembasierten Fischereimanagement schützt Fischpopulationen und das Klima
Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass bei den EU-Fangquotenverhandlungen Beschlüsse auf Grundlage von ÖBFM gefasst werden. ÖBFM führt laut aktuellen wissenschaftlichen Studien zu gesünderen und größeren Fischpopulationen und könnte zum Beispiel in der Ostsee zu einer Erholung von Dorsch und Hering führen11. Mehr Fische im Meer bedeuteten, dass durch die biologische Kohlenstoffpumpe mehr Kohlenstoff im Meer gespeichert werden kann. Das Meer kann uns dabei helfen, die Folgen der Klimakrise abzumildern – aber dafür müssen wir die Grundschleppnetzfischerei einschränken und ÖBFM einführen.
- Zerstörerische Fischerei zum Schutz von Ökosystemen und Klima beenden
Um eine größere Artenvielfalt und eine langfristige Kohlenstoffspeicherung im Meer zu gewährleisten, müssen die Meere besser geschützt werden.1213 Gesündere Fischpopulationen garantieren außerdem die Zukunft der Fischerei1. Die EU hat kürzlich den „Aktionsplans zum Schutz und zur Wiederherstellung von Meeresökosystemen für eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei“ (2023) verabschiedet.14 Jetzt muss Deutschland sicherstellen, dass noch im Jahr 2024 der Ausschluss von Grundschleppnetzfischerei aus Meeresschutzgebieten festgelegt wird. Bis 2030 muss die Grundschleppnetzfischerei aus allen deutschen Meeresschutzgebieten ausgeschlossen werden; außerdem muss Deutschland neue Meeresschutzgebiete ausweisen und sensible Laich- und Aufwuchsgebiete streng schützen.
- Umweltauswirkungen und Kohlenstoffverbrauch der Fischerei reduzieren
Die Verteilung von Fangquoten und ÖBFM sind wichtige Stellschrauben hin zu einer umweltschonenden, kohlenstoffarmen Fischereiflotte. Laut Artikel 17 der EU-Fischereipolitik (GFP) müssen Fangquoten nach ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Kriterien verteilt werden – allerdings wird dies in Deutschland nicht umgesetzt.15 Dieser Wandel muss im Rahmen der aktuellen Zukunftskommission Fischerei und der Umsetzung des EU-Aktionsplans eingeleitet werden.
- Wirksame Meeresschutzgebiete im Einklang mit nationalen und internationalen Zielen
Das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (2022), welches auch von Deutschland mitverhandelt und unterzeichnet wurde, fordert, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der Meeres- und Küstenregionen unter effektiven Schutz gestellt werden.16 Der Koalitionsvertrag sieht strengen Schutz für 10 Prozent der deutschen Meere bis 2025 vor17, was lediglich einen ersten Schritt hin zu der Erfüllung der vereinbarten internationalen Ziele darstellt. Wir fordern, dass mindestens 50 Prozent der Schutzgebietsfläche (23 Prozent der deutschen Meere) streng geschützt, das heißt aus der wirtschaftlichen Nutzung genommen, werden. Außerdem brauchen wir ein vollumfängliches, adaptives Schutzgebietsmanagement, um den effektiven Schutz dieser Gebiete zu gewährleisten.
- Nachhaltige Fischerei ist Klimaschutz
Unsere Meere sind unsere wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise. Damit Deutschland sein Ziel erreicht, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren18, muss der Fischereisektor seinen Beitrag durch deutliche Emissionsreduktion leisten. Außerdem brauchen wir intakte Küsten- und Meeresökosysteme, um die Klimakrise abzumildern und uns anzupassen. Damit die Meere ihr Potenzial entfalten können, müssen wir die Überfischung stoppen, ÖBFM umsetzen und bereits zerstörte marine Lebensräume wiederherstellen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Fördergelder des Aktionsprogramms „Natürlicher Klimaschutz“ für konkrete Wiederherstellungsmaßnahmen auch im Meer verwendet werden.19
Quellen